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20.10.2022 - Fortdauer der Untersuchungshaft zwischen tatrichterlicher Verurteilung und Revisionsentscheidung bei verzögerter Urteilszustellung wegen fehlender Protokollfertigstellung

Datum der Entscheidung
20.10.2022
Aktenzeichen
1 Ws 107/22
Normen
StPO §§ 112, 120 Abs. 1, 273 Abs. 4, 345 Abs. 1, 347
Rechtsgebiet
Strafprozessrecht
Schlagworte
Strafprozessrecht, Untersuchungshaft, Hauptverhandlungsprotokoll, unwirksame Urteilszustellung, Verfahrensverzögerung, Revisionsgegenerklärung, Kompensation
Titel der Entscheidung

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Fortdauer der Untersuchungshaft zwischen tatrichterlicher Verurteilung und Revisionsentscheidung bei verzögerter Urteilszustellung wegen fehlender Protokollfertigstellung (199.1 KB)
Leitsatz
1. Das Ergehen auch einer noch nicht rechtskräftigen tatrichterlichen Verurteilung begründet ein Indiz für das Bestehen eines dringenden Tatverdachts auch für das Beschwerdegericht im Haftbeschwerdeverfahren.
I
2. Das Beschleunigungsverbot verliert seine Bedeutung nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils, es vergrößert sich aber mit dieser Verurteilung das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Angeklagten als erwiesen angesehen worden ist.

3. Eine von der Justiz zu vertretende Verzögerung des Verfahrens kann dadurch kompensiert werden, dass derselbe Umstand zugleich dafür ursächlich geworden ist, dass weitere Verfahrensschritte früher abgeschlossen werden konnten, als dies im Übrigen der Fall gewesen wäre. So kann, wenn wegen zunächst fehlender Protokollfertigstellung die Übersendung eines schriftlichen Urteils zu wiederholen ist und dadurch der Lauf der Revisionsbegründungsfrist erst verzögert in Gang gesetzt wurde, die Verzögerung dadurch teilweise kompensiert werden, dass die Staatsanwaltschaft ihre Revisionsgegenerklärung bereits auf die nach der ersten, letztlich nicht wirksam erfolgten Urteilszustellung erstellte Revisionsbegründungsschrift hin erstellt.

4. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse ist auch zu würdigen, ob eine Verfahrensverzögerung auf ein allgemeines Organisationsdefizit der Justiz bzw. auf eine entsprechende Absicht zurückzuführen ist, oder ob sich um ein bloßes Versehen im Einzelfall gehandelt hat. Ungeachtet der hohen Sorgfaltsanforderungen an die Strafjustiz, die in besonderer Weise bei der Bearbeitung von Haftsachen gelten, ist eine Fehlerfreiheit nicht erreichbar.